Nov.
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Erica Pedretti – Hottinger Literaturgespräche

Der dritte Abend der dritten Hottinger Literaturgespräche im Theater Neumarkt war wiederum ein voller Erfolg. Erica Pedretti begeisterte das zahlreich erschienene Publikum mit ihrer stillen, zurückhaltenden Art, aber auch mit ihren brillanten und zum Teil äusserst humorvollen Statements zu ihrem Leben und Werk und zur seit 63 Jahren in aller Frische andauernden Liebesgeschichte mit Gian Pedretti, der im Publikum sass. Der Büchertisch der Buchhandlung Reimann wurde rege benützt, und es ist vorauszusehen, dass viele, die dabei waren, an den kommenden stillen Herbst‐ und Wintertagen wieder zu so wunderbaren Büchern wie «Heiliger Sebastian», «Harmloses bitte», «Engste Heimat» oder «Kuckuckskind» greifen werden.
Text: Charles Linsmayer
Foto: Manfred Utzinger, utzi-foto.ch
Erica Pedretti war eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der Schweizer Literaturszene – nicht nur als Autorin, sondern auch als bildende Künstlerin. Beim Hottinger Literaturgespräch trat sie als feinsinnige Beobachterin und kluge Erzählerin auf, deren Werk eng mit ihrer Biografie verwoben ist.
Geboren 1930 in der damaligen Tschechoslowakei, kam sie nach dem Zweiten Weltkrieg in die Schweiz – eine Erfahrung, die sie nachhaltig prägte und zum zentralen Motiv ihrer Literatur wurde: Flucht, Ankommen, Fremdsein und Sprachsuche.
Ihre Romane, darunter Engste Heimat oder Harmloses, bitte, verhandeln Identität nicht als etwas Festes, sondern als etwas Fragiles, das sich in Sprache, Erinnerung und Körper einschreibt.
Pedretti schrieb eine Sprache, die poetisch und zugleich fragmentarisch ist. Ihre Texte wirken oft wie Skulpturen – zusammengesetzt aus Erinnerungsstücken, inneren Monologen und tastenden Gedanken.
Beim Gespräch in Hottingen sprach sie offen über die Schwierigkeit, Erinnerungen literarisch zu fassen – ohne sie zu glätten. Besonders bewegend war ihr Nachdenken über Sprache als Ort der Rettung, aber auch des Verlusts.
Neben ihrer literarischen Arbeit war Erica Pedretti auch eine gefragte Objektkünstlerin. Ihre Installationen thematisieren ähnlich wie ihre Texte das Brüchige, das Überganghafte, das Nicht-Vergessene.
Erica Pedretti verstarb im Jahr 2022. Ihre Werke aber bleiben – als leise, eindrückliche Zeugnisse eines Lebens zwischen den Sprachen und über die Grenzen hinweg.
Ein Abend, der zeigte: Literatur muss nicht laut sein, um stark zu wirken.
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