Hottinger Literaturgespräche – Gertrud Leutenegger

Weit über 120 Literaturbegeisterte haben am 31. Januar im Kirchgemeindehaus Hottingen eine Gertrud Leutenegger erlebt, die wunderbar vorzulesen verstand, über ihr Werk und ihre Arbeitsweise erhellend Auskunft gab und sich auch immer wieder als hinreissende spontane Erzählerin erwies. Ein Höhepunkt war dabei die Erzählung, wie sie als kleines Mädchen erstmals Geschichten erfunden hat, als sie für ihren Verkäuferladen keine Kundschaft mehr hatte und darum eine ganze Reihe von virtuellen Kundinnen erfand, denen sie jede Menge Eigenschaften und einen eigenen Lebenslauf zudichtete.

Die beiden frühen Romane «Vorabend» und «Ninive» erwiesen sich als erste Ausprägungen eines literarischen Kosmos, dessen zentrale Themen Kindheit, Liebe und Tod auch in ihrem späteren Werk immer wieder neu und auf veränderte Weise ins Blickfeld rücken. Als eine Art Coda des ganzen Werks entpuppte sich der im März erscheinende Roman «Panischer Frühling», der wie seinerzeit «Vorabend» die Form eines Stadtrundgangs angenommen hat – 1975 war es Zürich, 2014 ist es London – und der mit der Figur des Zeitungsjungen Jonathan auf sinnige Weise auf Fabizio in «Ninive» verweist, der im nächtlichen Berlin ebenfalls als Zeitungsverkäufer gearbeitet hat. In dem kurzen Text «Mein Stil», der 2009 in der NZZ erschien und den Gertrud Leutenegger vorlas, gibt es auch eine berührende Formulierung für das Besondere, das ihr Schreiben nach wie vor auszeichnet. «Wie fordert uns das Leben heraus, immer leichter zu werden», heisst es da, und: «Im Innern nimmt das einst Sichtbare
Zuflucht, erwacht zu fernem Klang, steht als ungreifbare Architektur wieder auf, wird Rhythmus, Glanz.»

Text: Charles Linsmayer
Foto: Manfred Utzinger, utzi-foto.ch

 

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