Hottinger Literaturgespräche – Monica Cantieni
Monica Cantienis erster Roman führt die Serie bemerkenswerter Schweizer Frauenbücher (wie «Tauben fliegen auf» von Melinda Nadj Abonji) auf imponierende Weise fort. Cantienis «Grünschnabel» besticht mit seiner vitalen Figurenzeichnung wie mit seiner Sprache, die Form und Thema in einem ist.
365 Franken soll der Vater bezahlt haben, damit das kurzsichtige Mädchen aus dem Heim zu «künstlichen Eltern» ziehen darf. Vorläufig wenigstens, denn es ist noch gar nicht sicher, ob alles gut geht. Monica Cantieni stellt die Sozialisierung eines Adoptivkindes wunderbar anschaulich aus der Optik des Mädchens selbst dar. Sie gesellt ihm glaubwürdige, mit Fehlern behaftete Betreuer bei, und sie stellt die Geschichte gekonnt in eine Zeit hinein, in der die Ausgrenzung des vorlauten Mädchens, das der Grossvater Grünschnabel nennt, mit jener Ausgrenzung konform geht, die Immigranten bedrohte – und noch immer bedroht.
Charles Linsmayer, SonntagsZeitung, 20.2.2011