Thomas Hürlimann über Gottfried Keller

Zu Gast bei Charles Linsmayer
Hottinger Literaturgespräche

Text von Charles Linsmayer

Am zweiten Abend der neuen Reihe «tot, aber lebendiger denn je» ging es am 25. Oktober 2019 im Neumarkt‐Theater um Gottfried Keller, dessen 200. Geburtstag Zürich dieses Jahr feiert. Im Filmbeitrag von Fernsehen DRS begegnete man Passanten auf Zürichs Strassen, die von Keller ferner keine Ahnung hatten. Ein Auszug aus seiner Rede zu Kellers 150. Geburtstag brachte zudem Emil Staiger ins Spiel. Ein DDR‐Regisseur schwärmte vom «Grünen Heinrich» und das Finale von Hans Trommers «Romeo und Julia»‐Film von 1941 präsentierte diese wohl noch immer ergreifendste Keller‐Verfilmung.

Thomas Hürlimann, Margrit Läubli

Margrit Läubli und Thomas Hürlimann

Der Gast

Gast des Abends war Thomas Hürlimann, der mit «Heimkehr» einen der neuesten Schweizer Heimkehrer Romane im Nachgang zu Kellers «Grünem Heinrich» vorgelegt hat. Zudem wurde er dieses Jahr auch mit noch dem Gottfried‐Keller‐Preis geehrt.

Hürlimann zeigte sich im Gespräch mit Charles Linsmayer eloquent wie immer während er seine eigene bemerkenswerte Sicht auf Gottfried Keller präsentierte.

Schon während seiner Berliner Zeit in den späten siebziger‐ und frühen achtziger Jahren inspirierte ihn Keller sehr. Zwischen dem Heinrich Übel seines Romans und dem Grünen Heinrich Gottfried Kellers gibt es durchaus Parallelen. Das Gespräch thematisierte daneben vor
allem auch Kellers unglückliches Verhältnis zum weiblichen Geschlecht, das eine starke Symbolisierung in dem Gedicht «Winternacht» erfährt, welches Thomas Hürlimann stehend rezitierte. 

Er sei «ein Mensch gewesen, der nicht das Talent zum Glücklichsein hatte», urteilte Thomas Hürlimann insgesamt über seinen frühen literarischen Vorfahren.  Wer Hürlimann an diesem Abend in seiner Vitalität, Kraft und Lebensfreude erleben durfte, konnte ahnen, dass dies trotz viel Schwerem in den vergangenen drei Jahren für Thomas Hürlimann selbst nicht zutrifft.

Manfred Utzinger hat den Abend wieder fotografisch festgehalten:
https://utzi‐foto.smugmug.com/….

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Thomas Hürlimann

Gottfried Keller

Thomas Hürlimann versteht es meisterhaft, das Werk von Gottfried Keller in einen heutigen Kontext zu setzen. Während seiner Lesung wird spürbar, wie aktuell Kellers Themen geblieben sind – sei es die Frage nach der Freiheit des Einzelnen oder der Zwiespalt zwischen Pflicht und Leidenschaft. Hürlimann erzählt nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als feinfühliger Beobachter der Gesellschaft. Seine humorvollen Anekdoten lockern den Abend auf und geben zugleich Einblicke in die Kunst des Erzählens. Für alle, die Literatur nicht nur konsumieren, sondern erleben wollen, war dieser Abend ein echtes Highlight.